Lazlo „Leslie“ Schwartz – ein jüdischer Zeitzeuge besucht das Descartes-Gymnasium und berichtet …

…über den Nationalsozialismus, über die KZ Ausschwitz und Dachau und über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg

Lazlo Schwartz mit Schülern

 Am 20.09.2012 versammelte sich der Jahrgang der Q12 in der 2. Stunde zu einem Vortrag über den Nationalsozialismus im Konferenzsaal. Die nun folgenden beiden Schulstunden des Vortrags verlaufen folgendermaßen: Unser Schulleiter hält eine Rede, anschließend liest Leslie Schwartz wichtige Stationen seiner Kriegserlebnisse vor, bevor ein Dokumentarfilm gezeigt wird, über Hintergründe, die sein Leben betreffen und über eine Schülergruppe, die zusammen mit ihm Informationen über den „Todeszug in Mühldorf“ zusammentragen, indem sie Archive durchsuchen und Zeitzeugen befragen. Am interessantesten für die Schüler der Q12 ist aber mit Sicherheit der letzte Teil des Vortrags, bei dem sie die Gelegenheit haben, Herrn Schwartz selbst die Fragen zu stellen, die ihnen auf der Seele brennen.

Lazlo Leslie Schwartz Lazlo Leslie Schwartz

 

Unser Direktor Herr Seybert hält vor Herrn Schwartzs Vortrag eine Rede, in der er uns daran erinnert, dass wir in einer Zeit voller Frieden aufwachsen, was aber nicht selbstverständlich ist.

Wir sehen, wie recht er damit hat, als der jetzt 82-jährige Leslie Schwartz anfängt, von einer Zeit zu erzählen, die sich heutzutage keiner auch nur im Entferntesten vorstellen kann. Eine Zeit, in der man erlebt, wie der beste Freund in den eigenen Armen stirbt, und in der man niemandem mehr vertrauen kann. Eine Zeit, in der Essen ein Privileg ist. Eine Zeit, in der nur eine Sache wichtig ist: Überleben. Leslie sagt zu uns, dass er sich bei aller Grausamkeit immer gedacht hat: Ich muss das überleben. Allein schon aus dem Grund, dass es jemanden gibt, der davon erzählen kann, welche unglaublichen, unmenschlichen Dinge in der Zeit um 1945 geschehen sind. Und das tut er jetzt auch – Erzählen: In diesen zwei Schulstunden erfahren wir die wichtigsten und auch schrecklichsten Abschnitte seines Lebens – und das Besondere daran ist, dass wirklich JEDER zuhört. Als er vorliest, oder auch, als er die Fragen der Schüler beantwortet, bekommt er so viel Aufmerksamkeit, von der Lehrer im Unterricht meist nur träumen können. Allen ist wohl klar, dass das hier nicht nur irgendwelche abgelesenen Texte wie Quellen in den Geschichtsbüchern sind. Das hier ist echt, es ist wirklich passiert, dieser Mann hat’s erlebt.

Ursprünglich kommt er aus Ungarn. Dort ist er mit seiner Familie aufgewachsen, bis der Zweite Weltkrieg losbrach. Von Nationalsozialisten wurden zunächst alle in Ghettos gebracht, darunter auch Leslie und seine Familie. Was Leslie mit seinen nur 14 Jahren vor allem in Erinnerung geblieben ist, war die Angst – immense Angst vor nur zwei Nationalsozialisten. Er sagt: „Wir waren 7000 Juden, und wir haben so Angst gehabt vor diesen zwei SS-Jungen.“

 

 

 

Von den Ghettos wurden diese 7000 bald ins KZ nach Ausschwitz gebracht – in den sicheren Tod. Leslies ganze Familie kommt in Ausschwitz um – und er sieht sie dort zum letzten Mal. Leslie ist der einzige aus seiner Familie, der dem Tod entronnen ist, und das durch einen glücklichen Zufall: ein alter Freund hilft ihm, in die Männerbaracke zu kommen, die – als arbeitsfähig eingestuft – nach Dachau deportiert werden.

Eine weitere wichtige Etappe ist der sog. „Todeszug von Poing“ – die Häftlinge des KZ Mühldorf, in das Leslie nach der Zeit in Dachau kommt, werden gezwungen, in diesen Zug zu steigen und sollen nicht lebend wieder herauskommen. Leslie ist zu dieser Zeit schon vollkommen ausgehungert und an Typhus erkrankt. Trotzdem gibt er nicht auf. Jedoch ist der Krieg zu dieser Zeit fast zu Ende – bei Poing denkt die Wachmannschaft, der Krieg sei zu Ende und lässt die Häftlinge frei. Leslie flieht – aber die SS-Leute versuchen kurz darauf, die Freigelassen wieder einzufangen. 50 Menschen werden erschossen – ein SS-Mann schießt Leslie eine Kugel in den Kopf. Dieser bricht zusammen. Der SS-Mann sagt zu ihm: „Steh auf und geh zurück in den Zug, oder du bekommst noch eine Kugel in den Kopf!“

Und er steht auf und steigt wieder in den Zug. Wie er das geschafft hat, versucht er uns zu erklären: In den Konzentrationslagern wurden die Menschen bis ans Äußerste ihrer Kraft gebracht, an den Rand der Menschlichkeit, an den Rand ihres Lebens. Menschen, die am Boden liegen, mussten stark sein und aufstehen, wenn sie nicht tot sein wollten. Bei Appellen im KZ, erzählt Leslie, mussten sie oft 5 Stunden stehen, durften nicht umfallen, mussten durchhalten. Und er sagt, dass er sich in solchen Fällen immer geschworen hat, niemals aufzugeben, sondern zu kämpfen.

 

 

 

Zwei Tage nach diesem Vorfall jedoch wird der Todeszug von den Amerikanern gestoppt – der Krieg ist zu Ende, und Leslie kann ein neues Leben beginnen.

Heute lebt Leslie in New York. Aber manchmal kommt er nach Deutschland zurück. Leslie hat keine Wut auf die Deutschen, obwohl das seine Freunde in den USA nicht verstehen können. Er kommt oft nach Deutschland zurück und arbeitet mit Schülern. Sogar seine Frau aus 2.Ehe ist eine Deutsche. Zu uns sagt er, dass wir nicht schuld sind an dem Krieg, am Nationalsozialismus, an allen Gräueltaten und Morden, die unsere Vorfahren vor mehr als 60 Jahren verschuldet haben. Aber er sagt auch, dass wir verantwortlich sind für die Zukunft und dass es an uns liegt, dass so etwas nie wieder passiert. „This is my advice to you“, sagt er – und wir wollen hoffen, dass unsere Generation fähig ist, aus Vergangenem zu lernen und dass ein Krieg wie dieser nie wieder vorkommt.

Elisabeth Hirmer, Q12